Meine 7. Reise in den Kongo, 2017

Manuela Erber-Telemaque

Nun schreibe ich siebte Reise, jedoch ist es im Grunde genommen meine 7. Reise nach Tshumbe, aber schon meine 8.Reise in den Kongo, da ich im Dezember zuvor kurz nach Kinshasa reiste zu meinem Mann, der gerade dort an der amerikanischen Botschaft arbeitet und ich nutzte die Gelegenheit wieder Medikamente, Baumaterialien und vieles mehr für Tshumbe ein zu kaufen und zu verschiffen.

Die größte Herausforderung für mich ist Zeit mit Kerby zu verbringen und gleichzeitig in Tshumbe die Projekte zu verwirklichen und in Österreich Spenden zu sammeln. An drei Orten sollte ich zur selben Zeit sein, aber das geht nicht, deshalb ist es nicht immer leicht all das unter einen Hut zu bringen.

Diese Reise dauerte von Ende Februar bis Mitte Juli 2017. Die ersten paar Tage verbrachte ich mit Kerby in Kinshasa, genoss die Zeit mit ihm und während er in der Arbeit war, erledigte ich Behördengänge für Genehmigungen bei den Ministerien in Kinshasa und viele Einkäufe für Tshumbe. Vor allem Baumaterialien musste ich für die bevorstehenden Projekte einkaufen: Zement, Baueisen, Wellblech, Wasserzisternen, Regenrinnen, Rohre, Wandfarbe und vieles mehr. Denn wir werden heuer mit dem Bau des neuen Kindergartengebäudes beginnen und ich freue mich schon sehr darauf.

Von Kinshasa nach Tshumbe zu reisen war einerseits für mich wieder die größte Freude und andererseits auch wieder traurig, da ich meinen Mann schon wieder in Kinshasa verlassen musste. Zumindest befinden wir uns jetzt mal auf demselben Kontinent und sogar demselben Land, ist ja auch schon mal ein Fortschritt. ????

Bei diesem Bericht möchte ich nicht alles genau ausführen, sonst würde das ja ein ganzes Buch werden, sondern einfach mal von den Highlights bzw. Besonderheiten sowie auch den tragischen Schicksalen zu erzählen. Zusammengefasst, das was mir am meisten in Erinnerung blieb während dieser Reise.

Highlights

Eine der größten Highlights dieser Reise war wohl, dass wir mit dem Kindergartenbau begonnen haben. Nachdem ich in Kinshasa alle Materialien eingekauft hatte, musste ich eine neue Verschiffungsfirma suchen, das Suchen geht nicht wie in Österreich durch eine einfache Eingabe bei Google, sondern man muss Kontakte haben, Leute fragen, sich umhören, um eine Verschiffungsagentur zu finden. (Bitte nicht falsch verstehen, die Agentur hat kein Büro oder irgendein Gebäude. Verschiffungsagentur im Kongo bedeutet einfach, dass ein Mann ein großes Boot/Schiff besitzt mit dem er Materialien von Kinshasa zu einem Ort im Inland transportiert und damit sein Geld verdient.) Über 70 Tonnen musste ich verschiffen. Der Inhaber versicherte mir, dass es nur zwei Wochen dauern würde, bis alles ankommen würde in Tshumbe, doch insgeheim rechnete ich schon mit zwei Monaten, so wie ich die Situation im Kongo kenne. Als ich in Tshumbe ankam, galt es zuerst am Land, wo der Kindergarten gebaut werden sollte, zu arbeiten. Alles musste entwurzelt werden, Gebüsch entfernt werden. Ein Zaun darum gebaut werden mit Bambusstangen und das Land eben gemacht werden. Außerdem traf ich mich mit den Schulinspektoren, präsentierte ihnen den Plan, wie zuvor schon mit ihnen besprochen und wir führten die traditionellen Dorfrituale aus, die bei so einem großen Bau in Tshumbe notwendig sind. Mitten in der Nacht kam die Stammesfamilie des Dorfchefs. Wir kochten für sie und der Chef führte die Rituale durch, damit der gesamte Bau, das Gebäude, alle Kinder und MitarbeiterInnen beschützt werden. Auch für mich ist das jedes Mal wieder spannend und auch extrem wichtig. Damit auch alle Dorfbewohner das Gebäude beschützen, kauften wir einen riesengroßen Sack voll Salz und jede Familie bekam dann eine kleine Tomatendose voll Salz von uns, so wie es in Tshumbe üblich ist. Die Bauarbeiter suchten Papa Fabien und ich zusammen, wir hielten Vorbesprechungen ab, erklärten die Regeln auf dem Bau, machten die Löhne aus und dann begannen wir mit den Fahrten um Kies und Sand für den Bau herbei zu holen. Dabei war uns der Unimog von Kerby eine große Hilfe. Anfang Juni (nach über zwei Monaten) kam endlich der erste LKW voll Zement, den ich verschifft hatte, bei uns an, und da wir schon bereit waren und auch das Fundament schon ausgemessen und ausgegraben haben, konnten wir direkt mit der Sauberkeitsschicht und zur selben Zeit mit der Herstellung der Betonziegel beginnen. Ich freute mich sehr und alles lief gut. Ein nächster LKW kam und die Arbeit ging weiter. Jedoch kamen bis Anfang Juli dann keine mehr und auch im Sommer (in der Trockenzeit) mussten wir dann mit dem Bau immer wieder Pausen einlegen, da die Verschiffung so lange dauerte (schlussendlich insgesamt neun Monate) Aber auch als ich heimfahren musste, führte Papa Fabien alles wie geplant weiter, das war für mich gut zu wissen.

Eine weitere Besonderheit war meine neue Lehmhütte, über die ich mich sehr freute. Da wir begannen langsam mit allen Projekten auf unser eigenes Grundstück um zu siedeln und das vorüber gehende/geliehene Grundstück zu verlassen, war es auch Zeit für mich zum neuen Grundstück zu ziehen, da hier nun täglich eine Menge los war. Meine Lehmhütte plante ich, so wie alle unsere Lehmhütten, selbst, das mache ich sehr gerne. Mit unserem Lehmhütten-Bau Team ging ich alles ab und zeigte wo ein Zimmer hinkam, wo ein Lagerraum, wo eine kleine überdachte Terrasse und wo der Wohnbereich sein sollte. Ich freute mich riesig über die schöne Lehmhütte, da arbeitete ich auch liebend gerne mit dem Bauteam an dem Strohdach (ich lies mir von den Männern zeigen wie das geht) Es ist wirklich anstrengend und eine Technik für sich, doch es machte mir sehr Spaß, obwohl die Männer nach kurzer Zeit beschlossen, dass ich ihnen die Zeit stahl, da ich zu langsam war. ???? Mit den Frauen arbeitete ich an den Lehmwänden – zuerst den Lehm, der ausgegraben wurde, mit Wasser vermischen und dann kneten wie ein Brot. Diese „Brotteige“ kamen zwischen die Stangen des Gehäuses. Dann musste alles einige Tage oder eine Woche lang trocknen, bevor die zweite Lehmschicht innen und außen dran war – in Tshumbe heißt diese „Fatola“. Fatola heißt: man nehme einen Batzen Lehm vermischt mit ein wenig Wasser und „batzt“ es mit Schwung auf die Wand, dann presst man es noch mit den Fingern an und „batzt“ danach wieder das nächste Stück an die Wand. Dabei wird gesungen, getanzt und sehr viel gelacht. Ich liebe es jedes Mal wieder mit den Frauen zusammen zu arbeiten. Die Hütte wurde wunderschön, und ich freute mich dort um zu ziehen. Zuvor half ich noch unseren Malern, die Hütte aus zu malen, auch das Bambusplafond wurde angebracht und ein wenig Elektrizität (die Kabel und Lichter von meiner alten Lehmhütte haben wir übertragen)- diese funktionieren mit einem Solarpanel und einer LKW Batterie.

Zwei weitere tolle Neuigkeiten waren die Geburt von Angelika, der Tochter unserer Kindergärtnerin Louise und unserem Krankenpfleger Joseph. Das war auch sehr spannend, da sie noch am Tag der Geburt in der Früh mit den Kindergartenkindern auf und ab hüpfte als wär das alles kein Problem und um etwa 04.00 Uhr morgens rief mich Papa Joseph an, dass das Baby schon da war: ein Mädchen und sie nannten es Angelika, nach meiner Mutter. Am Vormittag besuchte ich Louise in der Geburtenstation (eine einfache Lehmhütte) und schaute mir auch den „Kreissaal“ an (ein einfaches Brett). Mama Louise kam mir tanzend und lachend entgegen angelaufen, so als hätte sich nicht vor ein paar wenigen Stunden entbunden. Wirklich beneidenswert, wie viele Frauen hier das alles schaffen und so stark sind. Auch Mama Shako, unsere Gärtnerin und die Frau von unserem fleißigen Papa Michel, hat eine weitere Tochter geboren. Sie nannten sie Alice, nach unserer Köchin in Tshumbe benannt, das fand ich auch eine sehr schöne Geste.

Spannend war es die Brunnenbohrung, die der Bischof durch Finanzierung aus Amerika durchführte, aus zu probieren und das Wasser hinauf zu pumpen bzw. mit einem Rad hinauf zu treiben. Jedoch funktionierte das System nicht so einwandfrei und für mich ist das Trinkwasserproblem in Tshumbe noch lange nicht gelöst. Schwierig ist es jedoch, da Tshumbe so weit entfernt ist, dass es sehr schwer ist für die LKW’s mit den Bohrern nach Tshumbe zu kommen bzw auch extrem teuer. Da freute es mich umso mehr, dass wir die Ujeta Wasserfilter gesponsert bekamen und ich sie mit den Kindern und unseren MitarbeiterInnen in Tshumbe ausprobieren konnte. Wir erhielten dadurch sauberes Trinkwasser und den Kindern machte das Pumpen sehr viel Spaß.

Die Zeugnisverteilung am 01.Juli war ein schöner Tag. Alle Kinder freuten sich nicht nur über ihr Zeugnis, sondern auch über die tollen Geschenke: jedes Kind erhielt ein Kleidungsstück sowie Seifen, Moskitosprays und Desifektionsmittel für zu Hause (diese Sachen bekamen wir gesponsert von Freunden von Kerby und mir in Kinshasa, die eine große Firma dort besitzen, wo sie Seifen, Cremen, Babypuder, Desinfektionsmittel und vieles mehr herstellen). Nicht nur alle Eltern staunten über das Können der Kinder und die schönen Klassenräume, die wir dieses Jahr wieder innen neu ausmalten, da die Wände vollgetappt waren mit vielen schmutzigen Kinderhänden, sondern auch der Direktor der RAWBANK in Lodja, der unsere Projekte besuchte. Das ist eine afrikanische Bank, wo wir ein Bankkonto eröffnen wollen (da es auch die einzige Bank in Lodja ist – 150 km entfernt) -also die nächste Bank weit und breit.

Bevor es im Juli dann wieder zurück nach Kinshasa ging, hielten wir noch eine sehr große Mitarbeiterbesprechung ab, die den ganzen Tag lang dauert. Mir ist es wichtig, die Regeln und Strukturen zu wiederholen und diese auch mit allen MitarbeiterInnen gemeinsam zu besprechen. Besonders war dann bei der Abreise, dass Mama Aloki mit mir reisen konnte. Sie flog zum ersten Mal. Gemeinsam mit Papa Fabien hatten die beide sich ihre Löhne zusammengespart, damit Mama Aloki einmal Kinshasa sehen kann; Papa Fabien hatte Kinshasa schon früher einmal besucht. Für mich war es klar, dass sie bei Kerby und mir in Kinshasa über die Sommerferien wohnen konnte und da ihre beiden Manuelas ohne sie jeden Tag weinen würden, kamen auch diese beiden mit auf die große Reise. Das war sehr spannend und auch sehr erfreulich für mich. (Ende August flogen sie dann wieder zurück nach Tshumbe)

Das schlimmste Ereignis, das ich in der Zeit erlebt hatte, war die Geburt des Kindes von Mama Bibi (oder Mama Sofine). Mama Bibi ist von Geburt an schwer körperlich behindert. Ich lernte Mama Bibi vor drei Jahren kennen, als ihre Tochter geboren wurde. Denn ihre Nachbarn aus Tshumbe standen plötzlich vor meiner Tür mit einem gerade neugeborenen Baby im Arm. Sie wollten, dass ich das Baby adoptiere und mit nach Österreich nehme, da es bei der Mutter sterben würde. Daraufhin wollte ich so schnell wie möglich die Mutter sehen und wurde zu einer komplett zerfallenen Hütte gebracht in der Mama Bibi lag. Ich konnte noch das Blut von der Entbindung sehen. Sie musste allein entbinden, da ihre Nachbarin gerade auf einer Suche nach einer Hebamme war und dann das Baby kam. Ich fragte mich damals, wie sie das wohl geschafft hatte, sie hatte ja schon Schwierigkeiten überhaupt zu sitzen durch ihre Behinderung. Mama Bibi erzählte mir dann, dass sie vergewaltigt wurde und daraus schwanger wurde. Der Mann sei inzwischen schon in ein anderes Dorf gezogen und sie blieb alleine zurück. Sie erzählte mir, dass dies nicht ihr erstes Baby war und alle Kinder, die sie davor hatte gestorben waren. Manuela (sie nannte das Baby danach nach mir) war ihr neuntes Kind. Alle acht Kinder zuvor starben, die meisten davon verhungerten, da sie auch nie richtig Muttermilch hatte. Manuela lebt inzwischen bei Mama Aloki und Papa Fabien, die sie liebevoll als ihr eigenes Kind in die Familie aufgenommen haben und Mama Bibi freut sich darüber sehr, denn ihr größter Wunsch ist es, dass es ihrem Kind gut geht.

Als ich dieses Mal wieder Mama Bibi besuchte, bemerkte ich, dass sie schwanger war und fragte sie wie es dazu kam. Daraufhin erzählte sie mir, dass sie nichts zu essen hat und auch sonst kein Geld für Waschseife, Töpfe oder alles andere. Ein junger Bursche gab ihr immer etwas zu essen, aber dafür musste sie mit ihm schlafen. Der Junge war weggelaufen, als er hörte, dass ich wieder in Tshumbe war, da er weiß, dass ich so etwas nicht leiden kann. Auf jeden Fall war Mama Bibi wieder schwanger. In ihrem kleinen Zimmer waren nicht viele Sachen, nicht einmal ein richtiges Bett oder eine Tür oder irgendein Kleidungsstück. Mit Mama Aloki besorgte ich Kleidung für sie, Seife, ein Bett, Lebensmittel, Schuhe, Handtücher, Waschschüsseln, Töpfe und vieles mehr. Unsere Gärtnerinnen schickte ich um das ganze Zimmer zu säubern und ihr Wasser zum Waschen und Kochen zu bringen. Außerdem schickte ich auch eine Hebamme zu ihr um sie zu untersuchen, da sie ja nicht einmal wusste in welchem Schwangerschaftsmonat sie sich befand. Ich sagte ihr, dass sie mich rufen sollte (also jemanden zu mir schicken sollte) sobald sie spürte, dass es mit der Geburt losgeht. Daraufhin richtete ich schon Babykleidung, Babypuder, Babymilch, Fläschchen, Windeln und alles Notwendige bei mir daheim zusammen, sodass ich bereit bin, wenn es losgeht.

Und dann…plötzlich kam eines Tages ihre Nachbarin angelaufen und teilte mir mit, dass ich schnell kommen sollte, es ging los. Ich nahm die Sachen und mein Fahrrad und raste so schnell wie möglich zu ihr. Mama Aloki direkt hinter mir. Als ich bei ihr ankam, war ich von oben bis unten nass mit Schweiß. Ich schob den dreckigen Vorhang auf die Seite und ging in das Zimmer der Lehmhütte. Dort saß Mama Bibi auf ihrem Lianenbett und weinte, neben ihr ein toter Babykörper – völlig deformiert. Es war ein grausamer Anblick. Wieder war sie allein bei der Geburt, doch dieses Mal überlebte das Baby nicht. Als dann endlich die Hebamme kam und sie untersuchte, stellte diese fest, dass das Baby schon seit ein oder zwei Tagen im Bauch der Mutter tot war und dass es ihr Glück war, dass es jetzt rauskam. Es war einfach nur traurig und als ich das so sah, dachte ich mir nur: „Wenn das die Menschen in Österreich sehen würden…die können sich so ein Leid nicht einmal im Traum vorstellen. Dann würden die Menschen in Österreich mal aufhören zu jammern wegen unbelanglichen Dingen.“

In Österreich geht es uns wirklich gut und nur zu wenige wissen dies zu schätzen, darüber denke ich so oft nach wenn ich in Tshumbe oder auch in Österreich bin. Welch ein Glück wir nur haben und die meisten sind trotzdem sehr unzufrieden. Wie kann das nur sein? Wie kann es sein, dass manche Menschen in Österreich denken, dass sich die Menschen in Tshumbe dieses Leid selbst zu zuschreiben haben? Ich kann so etwas einfach nicht fassen. Wenn man irgend so ein Leid mal mit den eigenen Augen gesehen hat, dabei war oder miterlebt hat, dann würde kein Mensch mehr jammern oder sagen, dass die „Afrikaner“ alle selbst schuld sind an ihrer Armut.

Es gibt aber auch viele Menschen in Österreich, die uns unterstützen und versuchen die Situation in Tshumbe zu verstehen. Und ihnen danke ich von ganzem Herzen! Dass sie den Menschen in Tshumbe so viel Hoffnung und Hilfe schenken, dass sie an sie denken und sich um sie sorgen! Dafür DANKE; DANKE; DANKE! Das bedeutet mir sehr viel und für die Menschen in Tshumbe bedeutet es ÜBERLEBEN!

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