Meine Reise nach Afrika für das Projekt Zukunft für Tshumbe
Fangen wir mit meiner Person an: Ich heiße Fabian und bin während meines Aufenthalts in Tshumbe 25 Jahre alt geworden. Ich bin Medizinstudent im letzten Ausbildungsjahr und so sollte ich auch in Tshumbe auf der Krankenstation mithelfen und mein Wissen weitergeben.
Ich möchte meine geteilten Erfahrungen mittels Tagebucheinträgen (verschiedene Kapitel) erzählen, da ich mir sicher bin, so mehr weitergeben zu können.
Kapitel 1: „In Europa gibt’s Uhren, in Afrika Zeit.“
Der aéroport national behielt was er versprach – laute Menschen früh morgens, Gepäck wurde in dieser kleinen, runden Haupthalle herumgeschmissen, in Plastik mit nervtötender Geräuschkulisse verpackt und mit Panzertape umwickelt. Warum fragte ich mich? Durften die Koffer nicht dreckig werden? Unmöglich, dachte ich mir, in einem Land das Leopold II. während der Kolonialzeit schon mit „Dieser ganze verdammte Dreck“ so bildlich beschrieben hatte! Die Gelbwesten boten penetrant ihre Hilfe an, sie nahmen dir förmlich dein Gepäck ohne dein Zustimmen ab und verlangten dann „un petit rien“ (zDt. Ein kleines Nichts). Es war heiß, die Menschen schwitzten, ich auch. Chaos pur. Ich muss gestehen, einer Panikattacke war ich noch nie so nahe. Vermutlich war der Schlafmangel Ursache meiner Überempfindlichkeit, immerhin waren wir schon seit dreißig Stunden wach. Auf meine Frage nach der Uhrzeit antwortete Carmen nur noch erschöpft-philosophisch: „In Europa gibt’s Uhren, in Afrika Zeit“.
Kapitel 2: Der erste Tag in einer neuen, unbekannten Welt
Ziemlich schnell wurden wir am ersten Tag aus dem Schlaf gerissen. Getrommel, Gesang und Geschrei, Getanze – die Menschen waren hier gerne sehr laut, kein Zweifel. Alle kamen auf dich zu, um dir die Hand zu geben, dich anzufassen und dich genauer zu betrachten. „Wahnsinn“, dachte ich mir – was für ein genialer Empfang und diese Freude über unsere Ankunft.
So viele Eindrücke, die mich überkamen, so viele Gesichter und noch viel mehr Namen! Ich glaubte ich würde mir keinen einzigen merken können.
Essenstechnisch war ich im Vorhinein etwas besorgt, da ich immer ein wahnsinnig heikler Mensch war und sein werde, doch Maisbrei, Bananen und selbstgemachte Erdnussbutter am Morgen, vom Fahrrad gekaufte Antilope mit Kochbananen mittags und Reis mit Djesse als Abendmahl, gekocht von der kreativen Mama Aloki, überzeugten mich sofort.
Am Abend mussten wir ins Auto fliehen, da ein Gewitter mit mächtigen, schwarzen Wolkenformationen, stürmischen Winden und hallendem Donner drohte – die Regenzeit bahnte sich an. Gewitter hier waren anders als bei uns – es sind Naturphänomene – mit Blitzen, die nicht in die höchsten Punkte einschlugen, nein, es waren furchteinflößende, tödliche Blitze, die unbändig Leben vernichten konnten. Die Einheimischen waren nie in der Lage eine Erklärung zu finden, wie es zu so etwas Schrecklichem nur kommen konnte und so entwickelte sich ein tief verwurzelter Aberglaube, der von Genration zu Genration weitergegeben wurde. Eine Erklärung dessen würde hier den Rahmen sprengen.
Kapitel 3: MAMALE!
So schnell bin ich noch nie in der Früh aus dem Bett gesprungen, es hatte mich förmlich aus dem Schlaf gerissen, als mir einfiel, dass ich am Vortag meine Malariaprophylaxe total vergessen hatte. MAMALE! (zDt. Oh-mei-oh-mei!)
Auf der Krankenstation war wieder einiges los. Unterernährte Zwillinge, gerade erst geschlüpft, nur noch Haut und Knochen, in einer Reiswanne, mit der ganzen Familie im Schlepptau. MAMALE! Die Leute kommen einfach immer viel zu spät zu uns.
Am Nachmittag erfuhr ich dann zum ersten Mal von einem Jungen im Schulalter mit folgender Geschichte: Shako, so hieß er, hatte einst eine ganze Familie, jedoch entriss ihm das Leben seine Eltern und Geschwister. Erkrankungen, Blitzschlag, Geburtskomplikation – schrecklichste Ursachen. Die Leute fingen an zu reden und so ließ ihn die Gesellschaft, als Hexenkind abgestempelt und somit verantwortlich für das Schicksal seiner Familie, fallen. Es gab eine Tante, die wollte aber auch nichts mit diesem Hexenkind zu tun haben, da sie Angst um ihre eigene Familie hatte. Manuela fand den verwaisten Jungen auf der Straße lebend und bald darauf nahm ihn ein Familienvater aus Manuelas Reihen auf, wofür er aber harte Kritik von den restlichen Arbeitern erntete – so abergläubisch war die Bevölkerung hier. Das Schlimmste aber war, dass man dem Jungen so lange einredete, dass er, als eigentlich unschuldiges Kind, am Tod seiner Familie Schuld trüge. Irgendwann glaubte er es selbst, er konnte ja gar nicht anders. MAMALE.
Jetzt wohnt er bei einer lieben, alten Dame in einer kleinen Lehmhütte und Manuela hat ihn in die Schule aufgenommen.
Kapitel 4: Stress am Morgen und Kummer und Sorgen
„Heute habe ich das Projekt One Dollar Glasses gestartet.“ Zunächst nur für die Mitarbeiter gedacht, tauchten schon unzählige andere Dorfbewohner auf, da die Aktion groß im Radio angekündigt wurde. Da der von Manuela beauftragte Augenarzt nicht aufgetaucht war, durfte ich die Leitung übernehmen, und was das anfänglich für ein Chaos war. Die Menschen kannten keine Struktur und das stellte mich Ordnungsfanatiker tatsächlich vor eine Herausforderung.
Eine passende Brille für jemanden zu finden, der zuvor noch nie eine getragen hatte, war gar nicht so einfach. Viele sprachen kein Französisch und dachten sie würden schnell mal ein Medikament oder ein paar „gouttes“ (zDt. Tropfen/Augentropfen) bekommen und das Problem sei gelöst. Woher sollten sie es auch wissen? Dafür war dann die Freude über die neu gewonnene Sicht riesengroß.
Kapitel 5: Bitte treten Sie vor
Nachdem wir schon mit der frankophonen Messe unseren sonntäglichen Kirchengang bestritten hatten, wurden wir nun, eine Woche später, zur Messe in die nahe gelegene methodistische Kirche eingeladen. Ich glaube ja, dass hier nichts ohne Hintergedanken passierte und so war ich gespannt was so auf uns zukommen sollte. Platziert wurden wir in der ersten Reihe auf vier einzelnen Plastikstühlen, links, rechts und von hinten umzingelt von braven Glaubensbrüdern und -schwestern. Für mich als großen, sich im Hintergrund aufhaltenden Zweifler natürlich eine neue, etwas unangenehmere Erfahrung. Man muss sich das so vorstellen, die Messe begann nicht mit Glockengeläute, vielmehr lieferten die sich links und rechts von uns befindenden Parteien ein Duell des Gesangs und Musizierens. Worte können nicht beschreiben wie ich mich dort auf dem Präsentierteller gefühlt habe. Aber wir mussten ja nichts tun, nur zuhören und nett dreinschauen und die Lächelmuskulatur etwas strapazieren. Nach über einer Stunde, die Zeit vergeht ja bekanntlich sehr langsam, wenn man Spaß hat, begann die Messe mit einem Gebet auf tétéla. Und dann wurden alle neuen Messbesucher aufgerufen sich vor den Altar zu begeben und der Gemeinde vorzustellen.
HAAAAALLELUJAH! Und im Chor ertönte es aus dem „Publikum“: AMEN!
AAAAMEN! Und im Chor ertönte es wieder: HALLELUJAH!
„Oh nein“, dachte ich. „Bin ich grade einer Sekte beigetreten?“
Wie sich später herausstellte wollte der methodistische Gott doch nur Geld für den Aufbau seiner Glaubensrichtung haben. Nochmal Glück gehabt.
Kapitel 6: HOOODI? KARIBUUU!
Die Patenbesuche, die wir nach getaner Arbeit im Areal unternahmen, erwiesen sich als äußerst spaßig. Jedes Schulkind sollte Zuhause besucht werden, um sich ein Bild von der Wohnsituation und den Familienverhältnissen zu machen und die Patenbriefe wurden ebenfalls übersetzt und erklärt. Keine Ahnung wie Manuela das bis jetzt alles alleine erledigen konnte?! Wir waren zu dritt schon mehrere Wochen beschäftigt.
Mit einem lauten „Hodi“ konnte man um Erlaubnis fürs Betreten des Grundstückes bitten. Von irgendwo her war dann meistens „Karibu“ zu hören, was soviel bedeutete wie „Erlaubnis erteilt, komm rein“. Anfängliche Schüchternheit von Seiten der Kinder verflog dann recht schnell und so kamen bei jedem Stopp wieder ein paar mehr Wegbegleiter dazu, bis sich riesige Trauben um uns bildeten. Fasziniert waren alle, wenn wieder ein paar Fotos der PatInnen aus Europa dabei waren. „Schau dir die Kleidung an! Und diese glatten Haare! Was für eigenartige Namen die doch haben!“ In Tshumbe konnte man Kinder stundenlang mit Fotobüchern beschäftigen und wenn sie es zum dreißigsten Mal angeschaut haben, langweilig wurde es nie.
Einen Einblick wie diesen, ins Leben der Menschen in Tshumbe, zu bekommen war wohl das Außergewöhnlichste an diesem Abenteuer!
Kapitel 7: Ein letzter Kommentar
Manuela, du hast in Tshumbe ein geniales Projekt aufgebaut und bist durch deine Idee und Zukunftsvision auf bestem Wege ein selbstständig arbeitendes System zu etablieren, um Umbruch und Wandel in ein Land zu bringen, in welchem es kein funktionierendes Rechtssystem, keine Infrastruktur gibt, welches gebeutelt ist von Korruption und wo Kinder keine wirkliche Lebensperspektive haben. Ich sehe was du den Menschen gibst, wie sehr du von deinen fleißigen HelferInnen geliebt wirst und was es ausmacht dort Zeit und Mühe zu investieren. Ich bin von deiner Arbeit und Hingabe für diese Lebensaufgabe wahnsinnig beeindruckt. WAALE WAANA, LOSAKA EFULA!
Fabian Pinsker